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Hinter den Kulissen von VirtuallyThere 

Psychotherapeutische Praxen und Kliniken, die mit Virtual Reality arbeiten, gelten in 2023 immer noch als Pioniere. Wie eine VR-Brille bewährte Methoden der Psychotherapie unterstützt ist bisher nicht systematisch Bestandteil der Aus- und Weiterbildung. Einen hohen Stellenwert hat deshalb der kollegiale Austausch für alle Psychotherapeut:innen, die mit Virtual Reality arbeiten. In diesem Artikel erhalten Sie einen Überblick über die wichtigsten Erfahrungswerte und Anregungen, die VR-erfahrene Psychotherapeut:innen 2023 bei der Arbeit mit dieser Technologie gemacht haben. 

Beitragsübersicht

Virtual Reality (VR) in der Psychotherapie zu nutzen erfordert von Therapeut:innen sich mit einer Technologie auseinander zu setzen, die in ihrer Ausbildung bisher meist noch unberührt bleibt. Entsprechend merken wir von VirtuallyThere in der Arbeit mit Psychotherapeut:innen: neben anfänglicher Unterstützung in Sachen Technik gibt es einen großen Bedarf nach Austausch und therapie-praktischer Anregung.

 

Um dem gerecht zu werden, bieten wir alle zwei Monate eine VR-Reflexion für unsere Kundinnen und Kunden an. Diese Fortbildungen, akkreditiert bei der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg, fungieren als eine Art “VR-Intervisionsgruppe”: Kolleginnen und Kollegen stellen Fälle aus ihrer eigenen Praxis vor, bei denen sie Virtual Reality eingesetzt haben oder einsetzen möchten. Gemeinsam diskutieren wir, wie virtuelle Therapieszenarien in bestimmten Fällen wie Autofahr-Angst oder Anwendungsbereichen wie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie oder Suchterkrankungen bestmöglich unterstützen können.


Diese Reflexionen
leben vom kollegialen Austausch:

  • Was funktioniert für Sie persönlich gut?
  • Auf welche Herausforderungen stoßen Sie?
  • Welche Erfahrungswerte können Sie für Ihre persönliche Therapiepraxis übernehmen?

Moderiert werden diese Weiterbildungen von unserer Fortbildungs-Leiterin Dr. Simone Behrens, die darüber hinaus am Universitätsklinikum Tübingen tätig ist und sich auf Körperwahrnehmungsstörungen spezialisiert hat. Sie betont:

„Wir gehen immer davon aus, dass VR zwar ein effektives Werkzeug ist, aber keine eigenständige Therapie ersetzen kann. Der Therapeut oder die Therapeutin bleibt der entscheidende Akteur in der Therapie. Er oder sie kennt die Patienten, entscheidet wann und ob VR zielführend und zielgruppenadäquat ist und wie genau die Technologie unterstützend eingesetzt wird.“ 

VR in der Psychotherapie Therapeutin begleitet jungen Mann durch eine VR Behandlung
Um Virtual Reality in der psychotherapeutischen Praxis zu nutzen ist nicht nur eine technische Einführung wichtig, sondern auch kollegialer Austausch und therapie-praktische Anregungen.

"Fast täglich im Einsatz": Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis mit VR

Am häufigsten kommt VR bei Patient:innen mit Angststörungen zum Einsatz – und zwar dann, wenn Expositionen in vivo schwierig umsetzbar sind oder die Patient:innen sich dazu (noch) nicht überwinden können.


Michaela Pfeifer, psychologische Psychotherapeutin im Erwachsenenbereich
, berichtet über die vielseitige Anwendung der VR-Brille in ihrer Praxis:

“Ich setze die VR-Brille ein bei Sozialphobie, Rederangst, Zwang und häufig zur Entspannung nach Trauma-Expositionen.” 


Guido Neumann, Kinder- und Jugendpsychotherapeut
, hat positive Erfahrungen mit einer virtuellen Kapitän-Memo-Geschichte gemacht:

“Ich habe eine der beliebten Kapitän-Memo-Geschichten mit virtuellem Korallenriff und Fischen unterstützt, und das hat sehr gut funktioniert! Die Geschichte „passiert“ zwar nicht in VR, aber die passende virtuelle Umgebung unterstützt die Imaginationsfähigkeit. Das ist besonders hilfreich bei jungen Patienten, die sich nicht gut konzentrieren können oder kein gutes Vorstellungsvermögen haben.” 


Sonja Messelwitz, psychologische Psychotherapeutin für Erwachsene
, erlebt eine beeindruckende Wirkung virtueller Therapieszenarien bei Entspannungsübungen:

“Ich arbeite fast täglich mit der VR-Brille, hauptsächlich für Ängste und um Anspannung zu reduzieren. Die positive Wirkung ist erstaunlich. Ich habe schon diverse Tränen vor Rührung in meinem Therapiestuhl erlebt! Die Patient:innen konnten nach langer Zeit endlich Anspannung loslassen oder etwas erleben, das sie schon lange nicht mehr erlebt haben. Egal welche Altersstufen, alle sind von VR bei mir gut zu begeistern.” 


Mario Melcher, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
, erzählt wie er die VR-Brille bei Jugendlichen als Eisbrecher einsetzt:

“Vor allem die Jungs sind immer dermaßen begeistert, wenn sie die Brille sehen. Das virtuelle Motorrollerfahren finden viele toll, hinten drauf zu sitzen und durch die Straße im Dschungel zu kurven. Ich habe VR auch schon als Belohnung eingesetzt, zum Beispiel für einen Jungen, der noch nie Feuerwerk sehen durfte – für den war das in VR ein echtes Erlebnis.” 

Auf einem virtuellen Motorroller durch den Dschungel kurven - ein solches Erlebnis motiviert jugendliche Patientinnen und Patienten.

Trend #1: VR kommt immer vielfältiger zum Einsatz

2023 haben wir beobachtet, dass Psychotherapeut:innen VR immer vielfältiger einsetzen, weit über das Thema Angststörungen hinaus: um Anspannung zu reduzieren und Depressionen zu mildern, für die cue exposure bei Suchterkrankungen, zur Unterstützung bei der Diagnostik oder beim Üben von Aufmerksamkeitswechseln.


Die Psychologische Psychotherapeutin Michaela Pfeifer
setzt VR bereits seit mehr als zwei Jahren ein und erläutert:

“In VR können Patienten gut üben, die Aufmerksamkeit zu verlagern. Wir spielen die Situation mehrfach durch, mit unterschiedlichen Selbstinstruktionen. Dabei lernen sie viel darüber, was sie selbst beeinflussen können und wie sie aus automatisierten Angst-Hochschaukel-Kreisläufen herausfinden können. In der planbaren, kontrollierbaren und ja auch reduzierten virtuellen Umgebung ist das deutlich einfacher als im echten Leben.” 

In der therapeutischen Praxis überbrückt VR oft Lücken in der Angsthierarchie, hilft Patient:innen, die sich auf Konfrontationen überhaupt erst einzulassen und ermöglicht einfacher emotionales Erleben in die Therapiestunde zu bringen, auf dem das weitere therapeutische Vorgehen aufbauen kann. Virtual Reality hilft, die (praktischen) Grenzen bewährter Methoden zu überwinden. Es mag erst einmal überraschen, dass es eher nicht die jüngeren Berufsanfänger:innen sind, die zur VR-Brille greifen: Tatsächlich sehen wir bei VirtuallyThere überwiegend erfahrene Psychotherapeut:innen, die sich mit einer inhaltlich getriebenen Motivation mit VR beschäftigen: Sie erleben im Lauf ihrer Tätigkeit, dass bewährte Methoden auch an Grenzen stoßen. Mit Virtual Reality suchen sie ein Hilfsmittel, um ihre Patient:innen auf dem Weg zum Therapieziel gezielter zu unterstützen.  


Dr. Sigrid Laleik ist Psychologische Psychotherapeutin
mit Spezialisierung auf Depressionen, Burnout, Angst- und Essstörungen. Sie berichtet:
 

„Aktuell habe ich einen Patienten mit sozialer Phobie, mit dem ich eine virtuelle Gondelfahrt inklusive Mitfahrern genutzt haben. Auch sind wir virtuell über einen Marktplatz spaziert. Ich finde das immer wieder beeindruckend, wie die Patienten darauf reagieren, und wie Emotionen aktiviert werden. Eine tolle Methode, um mehr emotionales Erleben in die Therapiestunde zu bringen.“

  

Dr. Peter Pohl ist Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeut in Garmisch-Partenkirchen und blickt auf jahrzehntelange psychotherapiepraktische und wissenschaftliche Berufserfahrung zurück. Er erzählt: 

„Ich bin erst seit wenigen Wochen im Besitz der VR-Brille. Eingesetzt habe ich sie bereits bei einer jungen erwachsenen Patientin, die eine Phobie vor dem Erbrechen hat. Zuvor hatten wir eine lange Phase, in der wir stagniert sind. Die ersten Reaktionen meiner Patientin mit VR sind dagegen wirklich positiv und substanziell. Ich kann mit der VR-Brille einen Stimulus herstellen, der im echten Leben sehr aufwändig und wenig appetitlich und hygienisch wäre.“ 

 

Für Dr. Claudia Ruff, Entwicklungspsychologin und Psychologische Psychotherapeutin in Bottrop bewährt sich VR besonders in Lerntherapien: 

„Die Kinder können damit schnell in die Entspannung kommen und Ängste abbauen. Als Entwicklungspsychologin bin ich immer auf der Suche nach neuen Methoden, und VR ist aktuell das spannendste Angebot. Tiere sind hier natürlich besonders dankbar: Die virtuellen Alpakas mögen viele meiner Patienten. Man kann förmlich beobachten, wie die Atemfrequenz runtergeht und die Anspannung nachlässt. Es ist schon überraschend, dass schon in der ersten Session schnell eine spürbare und messbare Entspannung eintritt,” berichtet sie. 

Die virtuellen Alpakas sind einer der Favoriten in der VirtuallyThere-Mediathek - bei großen und kleinen Patient:innen.

Trend #2: Individuelle und zielgerichtete Stimuli in VR erweitern die Möglichkeiten der Psychotherapie und unterstützen den Therapieerfolg.

Bei einer Patientin mit Autofahrangst hat die Psychologische Psychotherapeutin Michaela Pfeifer eine besondere Rating-Methode entwickelt, um besonders wirksam die Angst vor Kontrollverlust abzubauen. Ihre Erfahrungen teilte sie mit den Kolleginnen und Kollegen in unserer VR-Reflexion im September:

“Nach der Vorbereitung und Einführung habe ich ein Doppel-Rating mit zwei Skalen durchgeführt: Die erste Skala diente dazu, das Angstlevel zu erheben. Die zweite Skala bezog ich darauf, wie viel Prozent Aufmerksamkeit die Patientin trotz Angst noch auf der Verkehrssituation halten konnte. So machte si die Erfahrung: Auch wenn ich hohe Angst empfinde liegt immer noch Aufmerksamkeit auf der Verkehrssituation – das waren in dem Fall beispielsweise 70%. Diese Erkenntnis hat ihr enorm viel geholfen, dass sie die Situation doch noch als kontrollierbar erlebte,” erklärt Pfeifer.

 

Letztlich sei die Patientin dann mit der Familie in den Urlaub gefahren. Den größten Teil der Strecke nach Italien sei sie am Steuer gesessen. Sie fahre auch wieder regelmäßig Auto.  “Ein wirklich toller Impuls” war die Idee mit dem Doppel-Rating auch für die übrigen Psychotherapeut:innen, die an der Fortbildung teilnahmen. 

 

Egal ob die Exposition und Habituation das Ziel ist oder Aufmerksamkeits(ab-)lenkung, um Anspannung zu reduzieren: Damit die gewünschte Wirkung erreicht wird ist immer entscheidend, dass die Patienten richtig in die virtuelle Situation eintauchen. Übereinstimmend ist unsere und die Empfehlung unserer Therapeut:innen dazu: Starten Sie langsam. Lassen Sie die Patienten das Handling mit der VR-Brille und dem neuen Medium üben und testen Sie die Verträglichkeit. Begleiten Sie die Patienten in die Simulation hinein. Regen Sie sie dazu an, sich umzuschauen, fragen Sie nach, wie präsent sie sich in dieser virtuellen Umgebung fühlen, wie es dort riechen mag oder wer bei ihnen ist.


Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Dr. Claudia Ruff
ergänzt:

„Ich finde dabei wichtig, immer auch im sprachlichen Kontakt zu bleiben und gemeinsam auszuwerten, was da passiert und zu sehen ist. Bei vielen Patienten ist auch die Sicherheit essenziell – durch die Begleitung zu vermitteln, dass man als Therapeutin die Kontrolle hat.”


Je mehr Sinne angesprochen werden, desto besser gelingt normalerweise die Immersion, das Eintauchen in eine virtuelle Situation. Die Psychologische Psychotherapeutin Katja Koschützki berichtet, dass Sie und ihre Kollegin Sonja Misselwitz speziell beim virtuellen Autofahren gute Erfahrungen mit einem multisensorischen Ansatz machen:

„Mit realistischen Requisiten wie einem Lenkrad verbessert sich die Immersion. Wir nutzen dafür eine alte Playstation. Alternativ kann man die Patienten aber auch mit VR-Brille ins echte Auto setzen: so ist die komplette Haptik vorhanden und auch der typische Geruch.”


In unserer November-Reflexion haben wir darüber diskutiert, wie viel oder wenig therapeutische Begleitung in VR erforderlich ist, um ein optimales Eintauchen der Patient:innen zu erreichen. Unser Fazit lautete: Die Kunst besteht dabei darin, die Patient:innen in VR nicht allein zu lassen, aber gleichzeitig Raum für ihr eigenes Erleben zu geben. Während der eine Patient direkt intensiv eintaucht benötigt die nächste Patientin mehr Unterstützung, sich auf die Erfahrung einzulassen. Es erfordert therapeutisches Fingerspitzengefühl und individuelle Aufmerksamkeit, wie viel Dialog und Begleitung notwendig ist. „Patienten reagieren unterschiedlich auf VR“, bestätigt auch Fortbildungsleiterin Dr. Simone Behrens.
 

Autofahren in VR
Bei Expositionen ist es wichtig, den Schwierigkeitsgrad individuell steuern zu können: Deshalb gibt es für das virtuelle Autofahren unterschiedlichste Situationen wie Autobahn-Fahren, Tunnel, Stau, fahren bei Dunkelheit, im Regen und auf der Beifahrer-Position.

Scheu vor der Technik abbauen: Das Einarbeiten in VR-gestützte Therapie

Wir von VirtuallyThere wissen, dass unsere User:innen bewusst Psychologie und nicht IT studiert haben. Deshalb unterstützen wir Therapeut:innen natürlich auf dem Weg in die Arbeit mit VR: mit unserem Starter-Kurs, persönlichem Support und vorbereiteten Video-Tutorials, Checklisten und Anleitungen. Nach unserer Erfahrung ist es entscheidend, dass Psychotherapeut:innen zunächst mit der Technologie vertraut werden, bevor sie in der Therapiepraxis angewendet wird. Beim Check-in zu Beginn unseres Starter-Kurses sind sich die Teilnehmenden oft einig, dass sie “kein Händchen für Technik” haben. Drei Stunden später haben alle ihre VR-Brille in Betrieb genommen und sind motiviert VR mit ihren Patient:innen einzusetzen. Schließlich haben sie damit auch ein konkretes Ziel: In den Reflexionen berichten Kolleginnen und Kollegen häufig, wie durch den Einsatz von VR leichter Erfolgserlebnisse möglich werden. Das erleben natürlich auch Therapeutinnen und Therapeuten positiv.


Eine Therapeutin betont:
“Das Schöne ist, dass die Patienten – und auch ich! – nicht so viel Kondition für den Erfolg brauchen. Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen können sich oft schlecht konzentrieren oder auf neue Situationen einlassen. In VR ist das deutlich einfacher. Die einfache Habituation ist ein Riesengeschenk. Man muss nicht wie bei der systematischen Desensibilisierung erst das Angsthermometer erstellen, es sich vorstellen und die richtigen Worte finden. Das läuft einfach. Ich fand das auch für mich sehr erleichternd.” 


Eine Kollegin erzählt, wie sie selbst Sicherheit in der Anwendung der neuen Technologie gewinnt:
“Seit etwa einem halben Jahr habe ich die Brille. Im Moment bin ich noch bei Entspannungsmethoden. Ich merke, dass ich die Brille erst einmal behutsam einführen möchte und zeige daher zuerst entspannende Szenarien. So nehme ich Patienten die Berührungsangst und gewinne auch selbst mehr Sicherheit. Das finde ich super.” 


Mario Melcher, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
aus Berlin, betont die positive Resonanz von Jugendlichen auf die VR-Brille:

“Das Schöne ist, dass ich sehr viele jugendliche Patienten habe, auch junge Menschen zwischen 16 und 23 Jahren. Ich lege meine VR-Brille einfach nur auf den Tisch – es gibt kaum einen jungen Menschen, der nicht darauf reagiert hat. Die meisten haben sofort gesagt: ‘Du hast eine VR-Brille, klasse!’ Und da habe ich gesagt: ‘Jo, ich kann damit überhaupt nicht umgehen. Wie geht das eigentlich?’ Und schon waren wir auf einer ganz neuen Ebene im Kontakt und ich kann viel leichter eine therapeutische Beziehung aufbauen.”

Junger Mann trägt eine VR Brille
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen sind meist besonders offen gegenüber VR: Sie begegnen ihren jungen Patient:innen in deren Lebenswelten und stellen so auf eine ganz neue Art Therapiemotivation her.

Mit VR Diagnostik unterstützen

Eine oft übersehene Anwendungsmöglichkeit für VR in der Psychotherapie haben wir in unserer November-Reflexion thematisiert: VR kann auch diagnostische Zwecke unterstützen.


Brigitte Diekmann ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapeutin
 und nutzt VR für Traumakonfrontation. Sie berichtet über eine Patientin, die im Gespräch distanziert und fast fröhlich-unbeschwert über ihre Probleme sprach. 
„Sie konnte nicht auf ihr Leid eingehen und versuchte, alles wegzulächeln“, so drückt es die Therapeutin aus. „Wenn Sie aber eine belastende Situation direkt in VR erlebt, dann ist es für sie besser möglich, auch über körperliche Empfindungen und das emotionale Erleben zu berichten. Denn die Gefühle treten dann direkt auf und wir können sie dann thematisieren.“ 


Auch die Psychologische Psychotherapeutin Michaela Pfeifer bestätigt das diagnostische Potenzial bei sozialen Ängsten und berichtet:

„Die immersive Erfahrung ermöglicht es, Reaktionen auf der körperlichen Ebene und damit verbundene Kognitionen genauer zu untersuchen.“


Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Mario Melcher
erläutert:

“Wenn in der Therapie Kognitionen kommen, die eben was mit Angst zu sterben, Gesundheitsängsten und so weiter zu tun haben, dann hat man durch ein echtes Erlebnis in Virtual Reality eine gemeinsame Basis, auch gut diagnostische Einordnungen oder Themen einfach transparent zu besprechen und von da aus weiterzugehen.” 


Melcher schildert seine Erkenntnisse aus der Arbeit mit einer 13-jährigen Patientin, die unter Flugangst litt:

“Ich habe relativ schnell gemerkt, dass es nicht oder nicht nur um die Flugangst ging. Als die Patientin die VR-Brille aufhatte, konzentrierte sie sich auf den virtuellen Piloten Andy, wie er um das Flugzeug geht, die Tragflächen seines Sportflugzeugs prüft und sich den Propeller ansieht. Das fand sie toll! Plötzlich ging es um Vertrauen, um Kontrolle. Die eigentliche Angst vor dem Fliegen war verschwunden beziehungsweise darum ging es gar nicht.” 


Der Therapeut berichtet weiter:

“Die Patientin sagte: ‘Der Andy ist bestimmt oft geflogen. Der hat bestimmt auch Kinder. Der kümmert sich und der würde nicht einfach abstürzen. Der ist älter, der muss sich nichts beweisen.’ Das war für sie wichtig, und ich hatte darüber vorher gar nicht nachgedacht.” 


Als er gefragt wird, wie sich dies auf den Therapieansatz ausgewirkt hat, erklärt er:

“Es war nicht die klassische Exposition, wo man Angst hat und sie aushalten muss. Wir sind schnell ins kognitive Arbeiten übergegangen. Wir haben über drei oder vier Wochen weitere Sequenzen zum Thema Flugangst mit Pilot Andy erlebt. Als es zur Landung in VR kam, war ich ehrlich gesagt froh – dann für mich selbst war das Fliegen in dieser Propellermaschine eine Herausforderung! Der Pilot fliegt durch den Nebel, die Sicht war schlecht. Die Patientin war aber begeistert: ‘Mensch, da ist der Himmel, ach wir fliegen über den Wolken! Wow, ist das schön.’ Das war ein sehr eindrückliches Beispiel, wie Exposition diagnostische Informationen liefern kann und der Therapie eine unerwartete Richtung gibt.” 

"Ich habe schnell gemerkt, dass es nicht nur um Flugangst ging. Plötzlich ging es um Vertrauen und Kontrolle."

Trend #3: VR erfolgreich einzusetzen erfordert spezialisierte Fortbildungsmöglichkeiten für Psychotherapeut:innen.

Unsere VR-Reflexionen 2023 haben insgesamt gezeigt: Virtual Reality eröffnet neue Möglichkeiten für bewährte Methoden der Psychotherapie. Dabei vereinfacht die Technologie einerseits die Therapie, indem sie auf Knopfdruck planbar die gewünschten Szenarien herstellt. Diese Möglichkeiten erfordern aber auch vielfältigeres Know How und technisches Einarbeiten für Psychotherapeutinnen und -therapeuten. In der Arbeit mit unseren Kunden sehen wir jeden Tag: VR allein “macht “nicht die Therapie, sondern erfordert – mehr denn je – profund ausgebildete Psychotherapeut:innen. Erst dann kann VR ein wertvolles und mächtiges Werkzeug sein, um therapeutische Ziele emotional erfahrbar zu machen und Therapiemethoden zu unterstützen. 

  

VR in die psychotherapeutische Praxis zu integrieren erfordert eine sorgfältige Anpassung an bewährte therapeutische Methoden. Die Erfahrungen der Teilnehmer:innen unserer Reflexionen zeigen, wie wirksam VR auf verschiedenen Ebenen als unterstützendes Werkzeug werden kann. Der wertvolle Austausch in solchen Fortbildungsformaten über die Arbeit mit einem neuen, innovativen Tool fördert nicht nur die individuelle therapeutische Arbeit, sondern trägt auch zur Weiterentwicklung des gesamten Feldes bei. 

 

Eine wichtige Aufgabe wird es deshalb bleiben, die Arbeit mit VR-Brille in die Aus- und Weiterbildung zu integrieren. Auch hier zeigt sich zunehmend Bewegung: Professor Martin Hautzinger, renommierter Psychologie-Professor und Geschäftsführer der Tübinger Akademie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (TAKT), wird VR ab 2024 gemeinsam mit seinem Team in das Ausbildungscurriculum des Ausbildungsinstituts integrieren. Bereits mitten drin in der Arbeit mit VR befindet sich das Team des Zentrum für Psychotherapie am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin (ZPHU) um Doreen Weigand. Noch gelten die Teams von Professor Martin Hautzinger und Doreen Weigand als Pioniere. Ich bin überzeugt: In 5 bis 10 Jahren wird Virtual Reality eine ganz selbstverständliche Komponente der psychotherapeutischen Versorgung sein.

VirtuallyThere-Gründerin Carola Epple ist überzeugt: "Virtual Reality findet bereits den Weg in die psychotherapeutische Versorgung."

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