Die Digitalisierung eröffnet der Psychotherapie neue, praxisnahe Möglichkeiten – auch in einem Bereich, der besonders herausfordernd ist: der Behandlung von Suchterkrankungen. In einem aktuellen Fach-Webinar stellte Carola Epple, Medienwissenschaftlerin, Psychologin und Gründerin von Lab E, vielversprechende Wege zur Integration von Virtual Reality (VR) in die Suchttherapie vor. Der Fokus lag dabei auf zwei zentralen Zielen: der Rückfallprävention und dem Aufbau therapeutischer Ressourcen durch immersive, digitale Interventionen.
VR als Therapieunterstützung in der Rückfallprävention
In Deutschland leben rund acht Millionen Menschen mit einer Suchterkrankung. Rückfälle gehören zum typischen Verlauf – umso wichtiger sind Therapien, die Risikosituationen realitätsnah trainierbar machen. Genau hier setzt VR an: Die Technologie ermöglicht es, Situationen wie Kneipenbesuche, Gruppendruck oder alltägliche Konsumtrigger in einem sicheren, steuerbaren Umfeld zu simulieren.
Patient:innen können unter Begleitung ihrer Therapeut:innen gezielt mit individuellen Auslösern konfrontiert werden und funktionale Bewältigungsstrategien praktisch und wiederholt einüben. Dieses Prinzip der virtuellen Expositionstherapie (VRET) ist klinisch gut erforscht: Studien zeigen eine signifikante Reduktion von Suchtdruck, eine verbesserte Rückfallkontrolle und positive Effekte auf die Abstinenzstabilität – sowohl bei Alkohol- und Nikotinsucht als auch bei anderen substanzgebundenen und -ungebundenen Störungen.
(Segawa, T., Baudry, T., Bourla, A., Blanc, J.V., Peretti, C.S., & Mouchabac, S. (2020). Virtual Reality (VR) in Assessment and Treatment of Addictive Disorders: A Systematic Review. Frontiers in Neuroscience, 14:140. https://doi.org/10.3389/fnins.2020.00140)
Integration in den Therapiealltag
Moderne VR-Systeme sind mittlerweile alltagstauglich: Sie sind kabellos, leicht, intuitiv bedienbar – und funktionieren offline. Damit lassen sie sich nicht nur im Therapieraum, sondern auch mobil einsetzen, z. B. in Beratungsstellen, Tageskliniken oder sogar bei Hausbesuchen.
Die Handhabung ist denkbar einfach: Mit einem Klick starten Patient:innen eine VR-Sitzung, während Therapeut:innen auf einem Tablet live mitverfolgen und gezielt eingreifen oder steuern können. Besonders praktisch: Die Szenarien lassen sich in Intensität und Komplexität anpassen – ideal für eine progressive Konfrontation mit relevanten Reizauslösern.
Einfache Anwendung – in drei Schritten
Die VR-Interventionen werden therapeutisch eingebettet und begleitet. Der Ablauf gliedert sich in drei aufeinander abgestimmte Phasen:
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Vorbereitung
Zielklärung, Auswahl geeigneter Szenarien und Psychoedukation bereiten Patient:innen auf die VR-Erfahrung vor. -
Durchführung
In der VR-Sitzung erleben Patient:innen kontrolliert Suchtdrucksituationen. Sie trainieren Strategien wie Reframing, Impulskontrolle oder achtsame Selbstinstruktion – stets unter Aufsicht der Therapeut:innen. -
Nachbesprechung
Die Sitzung wird reflektiert und auf den Alltag übertragen. Ziel ist es, die in VR erprobten Kompetenzen auf reale Kontexte zu übertragen.
VR als Bestandteil moderner Suchttherapiekonzepte
Virtual Reality hat sich in der Suchtbehandlung längst über den Innovationsstatus hinausentwickelt. Sie ist heute eine wissenschaftlich fundierte und niedrigschwellige Ergänzung klassischer Verfahren. Ob in stationären, teilstationären oder ambulanten Settings – VR wird zunehmend zum Bestandteil moderner Suchtbehandlungskonzepte.
Zur Aufzeichnung und zum Download der Webinar-Unterlagen:
https://virtuallythere.lpages.co/download-webinar-vr-und-sucht/